Zusammenfassungen der Vorträge


Prof. Dr. Denis Alexander (25.10.2022)

Wie verstehen wir Wissenschaft?
Dabei bezieht sich Alexander auf die variierende Interpretation der Begrifflichkeit in unterschiedlichen kulturellen Settings.

Was ist Wissenschaft?

  • Viele verschiedene Einflussfaktoren wie kultureller Hintergrund, Sprache etc.
  • Die Terminologie der Wissenschaft ist stark an die Theologie gebunden, die als Königin der Wissenschaften bezeichnet wurde.
  • Den Terminus des Wissenschaftlers prägte ein Theologe im 19. Jahrhundert. Im englischen Sprachraum wird "Science/Wissenschaft" nahezu ausschließlich mit den Naturwissenschaften gleichgesetzt.
  • Die Sprachen anderer Kulturkreise fassen Wissenschaft breiter auf und inkludieren zumeist diverse Disziplinen mit akademisch-institutioneller Ausbildung.

Alexanders Versuch, Wissenschaft im englischen Sprachgebrauch konkreter zu beschreiben, endete in folgender Definition: "Science is an organised endeavour to explain the properties of the physical world by means of empirically testable theories constructed by a research community trained in specialised techniques." Aus dieser Definition leitet Alexander ab, dass die Wissenschaften betreffend Fragen nach der physischen Welt begrenzt sind. Das Leben bestehe jedoch aus verschiedenen Narrativen neben der Wissenschaft wie der Ethik, der Ästhetik, dem Persönlichen und der Religion. Diese Ebenen sind ebenfalls untereinander verknüpft.

Das eigentliche Thema des Vortrags war die Ethik. Diese definiert sich als philosophische Untersuchung der moralischen Werte des menschlichen Verhaltens sowie der Regeln und Werte, die sie bestimmen sollen. Die vier ethischen Werkzeuge des Menschen sind von philosophischen und religiösen Reflektionen geprägt:

  1. Naturrechtsethik: Basiert auf antiken griechischen Philosophen wie Aristoteles und dem mittelalterlichen Theologen Thomas von Aquin. Die Kernpunkte sind die praktische Rationalität, die Erfüllung des natürlichen Potenzials und ein Leben im Einklang mit der Natur.
  2. Utilitarismus: Basierend auf den Lehren des britischen Philosophen Jeremy Bentham. Jede Verhaltensentscheidung beruht auf den Auswirkungen auf die Gesamtheit der Beteiligten. Kosten und Nutzen sollen sich so zu einander verhalten, dass der Nutzen maximiert wird.
  3. Deontologische Ethik: Abgeleitet aus dem griechischen Wort "Deon", der Pflicht. Ein regelbasierter Verhaltenskodex, der sich an theologischen Werten orientiert.
  4. Tugendhafte Ethik: Die Frage, was das Tugendhafteste sei, ist nicht einfach zu beantworten.

Wie setzen die Menschen die vier Bestandteile des ethischen Werkzeugkastens ein, um einen kürzlich erzielten großen Fortschritt in der Wissenschaft zu verwerten? Die Bedeutung gegensätzlicher Weltanschauungen. Die Verwendung des Handwerkskastens hängt ab von der Ausgangssituation der Anwender*innen. Demnach sind auch komplizierte Fragen wie bspw. jene nach der Stammzellenforschung abhängig vom Ausgangspunkt der beantwortenden Person. Die christliche Interpretation der Toolbox verbietet zahlreiche medizinische Anwendungen, etwa deshalb, da sie gegen die Grundlagen religiöser Überzeugungen verstoßen.


Prof. Dr. Nidhal Guessoum (22.11.2022)

In dem Vortrag von Prof. Dr. Nidhal Guessoum wurden viele spannende Aspekte zu dem Thema Islam und Wissenschaft dargelegt und diskutiert. Begonnen wurde mit der kontroversen Frage, ob der Islam der Wissenschaft und dem Begriff 'ilm keinen hohen Stellenwert einräumt. Anschließend wurde die moderne Wissenschaft ("Modern Science") näher beleuchtet, vor allem im Hinblick auf Herausforderungen und Chancen. Es wurde außerdem einen Einblick in die unterschiedlichsten Reaktionen muslimischer Wissenschaftler*innen auf die moderne Wissenschaft gegeben. Zuletzt stellte man sich die Frage, wie sich Islam und Wissenschaft in Einklang bringen lassen. 

Wir brachten in Erfahrung, dass 'ilm ein weiter gefasster Begriff im Koran ist, und nicht mit "Wissenschaft", sondern mit "Wissen" übersetzt werden sollte, da er sich auch auf die Religionswissenschaft konzentriert. Das heißt, er besitzt eine viel größere Spannbreite als der Begriff "Wissenschaft". Er wird im Koran oft erwähnt und besitzt religiöse und moralische Konnotation. Der Wissenschaftler Sardar vertritt in diesem Kontext die Ansicht, dass sich 'ilm durch seine moralische Dimension vom westlichen Wissensbegriff unterscheidet. Ein anderer, Munawwar Anees, erklärt, dass 'ilm einer der anspruchsvollsten, allumfassendsten und tiefgründigsten Begriffe ist, die im Koran zu finden sind.

Wir halten weiters fest, dass die moderne Wissenschaft als eine objektive, organisierte, systematische und strenge Untersuchungsmethode definiert werden kann, die auf Beobachtungen, Experimenten, Berechnungen und Simulationen beruht. Sie produziert Ergebnisse, die universell wiederholbar sein müssen, unabhängig von Menschen und Kulturen. Sie bezieht die gesamte wissenschaftliche Gemeinschaft in den Prozess mit ein und sie besteht aus naturalistischen Erklärungen. 

Die Herausforderungen der modernen Wissenschaft lassen sich wie folgt zusammenfassen: Die Wissenschaft akzeptiert nur Erklärungen für natürliche Phänomene, die sich auf natürliche Ursachen stützen und lehnt jede Berufung auf übernatürliche Faktoren ab. Jede vorgeschlagene Erklärung, die nicht überprüft werden kann, ist nicht wissenschaftlich. Herausfordernde Paradigmen sind vor allem die Evolutionslehre (biologisch und menschlich) und die Kosmologie (Multiversum).

Es gab viele islamische Reaktionen von diversen Forscher*innen auf die moderne Wissenschaft. Eine ins Rollen gebrachte Debatte im 20. Jahrhundert diskutiert die Standpunkte von folgenden verschiedenen Wissenschaften: die heilige Wissenschaft (Nasr), die ethische Wissenschaft (Sardar) sowie die universelle Wissenschaft (Abdus Salam). Zu Beginn des 21. Jahrhunderts gibt es außerdem eine neue Generation von Stimmen: Die theistische Wissenschaft (Ghazālī) und die Averroes'sche Harmonie (Guessoum). 

Die heilige Wissenschaft wurde vor allem von Seyyed Hossein Nasr geprägt. Er betrachtet die moderne Wissenschaft als eine menschliche Anomalie, die sich von Gott abgekoppelt und große Übel (wie zum Beispiel Umweltkatastrophen) hervorgebracht hat, und besteht darauf, dass die islamische Zivilisation die Natur als heilig betrachtet und materielle Dinge und geistige Wesen im Kosmos vereint. Der Zugang zu Informationen kann durch den Verstand oder durch individuelle Intuition (mystische Übungen) erfolgen. Er lehnt die Ziele der modernen Wissenschaft ab und sieht mehr Bedeutung in den Werten von Zweck, Sinn und Schönheit.

Die universelle Wissenschaft durch Abdus Salam:  Er war der erste muslimische Nobelpreisträger in Physik und ist ein gläubiger und rationalistischer Muslim. Er ist der Meinung, dass die Wissenschaft universell ist und nur ihre Anwendungen durch kulturelle Faktoren beeinflusst werden. Er weist die Behauptung zurück, dass es in der modernen Wissenschaft wesentliche konzeptionelle Probleme gibt, die eine Rekonstruktion rechtfertigen. Er ist der Meinung, dass es den Begriff "islamische Wissenschaft" nicht gibt.

Der bekannteste Anhänger der ethischen Wissenschaft ist Sardar. Er hält die Wissenschaft für fehlerhaft und gefährlich, von ihrer metaphysischen Grundlage bis zu ihren sozialen Auswirkungen und technologischen Anwendungen. Er legt mehr Wert auf die soziale Relevanz der Wissenschaft als auf ihre erkenntnistheoretischen Ziele.

Diese verschiedenen Ansichten belegen, wie zentral es ist, Islam und Wissenschaft in Einklang zu bringen. Die moderne Wissenschaft sollte, laut Guessoum, mit all ihren strengen Methoden und Ergebnissen übernommen werden. Die universell strengen ethischen Normen, wie jene des Islam, müssen gleichermaßen wie die moralische Führung und die Wissensphilosophie des Korans akzeptiert werden.


Dr. Rachel S. A. Pear (13.12.2022)

Der Vortrag von Dr. Rachel S.A. Pear behandelte viele spannende Aspekte zu den Themen religiöser und wissenschaftlicher Unterricht über Evolution und Ursprünge der Menschheit an israelischen Schulen. Zu Beginn stellte die Vortragende ihr Projekt an der Universität Haifa samt den vorläufigen Ergebnissen vor. Im Rahmen dieser Forschung interviewte sie unterschiedliche Expert*innen sowie Schüler*innen an verschiedenen israelischen Schultypen. Der Grund für diese Untersuchung waren Beschwerden darüber, dass die Evolution an den Schulen nicht ausreichend gelehrt werde. Dieses Umdenken hatte zur Folge, dass die Evolution zu einem obligatorischen Bestandteil des Biologieunterrichts wurde, obwohl sie zuvor nur optional gelehrt worden war. Pear stellte sich in ihrer Studie ebenfalls die Frage, wie Lehrer*innen ihre Schüler*innen in diesem Lehrgebiet unterstützen können.

Hierzu erfuhren wir im Online-Vortrag interessante Fakten: Die Hälfte der israelischen Juden glaubt an die Evolution, gleiche Zahlen gibt es für Christen und Muslime. Die Lehrer*innen benötigen Quellen und Ressourcen, um die Bandbreite der Evolution korrekt unterrichten zu können, es ist also Unterstützung in diesem Bereich gefragt. Außerdem konnten wir in Erfahrung bringen, dass die Evolution aufgrund ihrer Sensibilität nicht oft thematisiert wird. Im Zuge dieser Untersuchung befragte die Vortragende, wie erwähnt, Schüler*innen und ihre Pädagog*innen und präsentierte im Anschluss diverse Ergebnisse. Aus diesen geht hervor, dass die Ansichten der beiden Gruppen völlig unterschiedlich sind, was das Unterrichten erschwert.

Beispielsweise meinte ein religiöser Experte, dass kein Konflikt zwischen Evolution und Religion bestünde. Die Schüler*innen haben jedoch hierzu eine konträre Meinung. Es lässt sich also festhalten, dass die Stellungnahmen zu diesem Thema sehr vielseitig und unterschiedlich sind. Aus den Befragungen geht außerdem hervor, dass einige befürchten, dass die Evolution in der Klasse falsch behandelt wird. Diese sensible Thema benötigt gut geschulte Pädagog*innen und diese müssen wiederum unterstützt werden. Anschließend stellte uns Pear Lösungsansätze zu diesem Problem vor, etwa ein breites Spektrum von Ansichten zu diesem Thema zu lehren, was aber zugleich ein Hindernis darstellt, da einige Parteien einen klaren Schwerpunkt setzen möchten. Zum Ende hin listete die Vortragende weitere Fragen auf, die sie im Rahmen ihrer Studie den Expert*innen gestellt hatte. Eine konzentrierte sich auf die unterschiedlichen Sichtweisen bezüglich des Ursprungs der Menschheit im Bibelunterricht. Eine andere lautete: "Soll die Evolution im Bibelunterricht gelehrt werden? Wenn nein, soll die Thematik nur angesprochen werden, wenn danach gefragt wird?" Abschließend wurde im Plenum über viele weitere Gesichtspunkte diskutiert.

Zahlreiche Online-Zuhörer*innen konnten sich untereinander austauschen. Konkret ging es beispielsweise um pädagogische Interventionen und um den Respekt für Wissenschaft und Religion.


Prof. Dr. Matthias Beck (16.01.2023)

Der Online-Vortrag über „Das Verhältnis von christlicher Theologie zu Naturwissenschaften und Medizin“ von Prof. Dr. Matthias Beck begann mit der Erklärung, dass der Mensch „ein Wesen der Frage“ ist und durch das Leben, das Leid und Krankheiten infrage gestellt ist. Gott wird in der christlichen Theologie als Urgrund des Seins gesehen. Dieser Gottesbeweis geht auf Thomas von Aquin zurück. Beck erklärte, dass die Menschen sich früher viele Dinge nicht natürlich erklären konnten und daher Götter als Projektionen erschufen. Die Menschen setzten an die Stelle der Unerklärlichkeit demnach Götter, die sie anbeteten und denen sie Opfer brachten. Ein Umbruch fand statt, als das Judentum davon ausging, dass der letzte Urgrund des Seins sprechen und handeln kann und Gott somit nach außen in Erscheinung trat. Im Zuge dessen entstanden auch die zehn Gebote und Gottes Wort (griechisch: logos) wird den Menschen mitgeteilt. Nicht umsonst gibt es das bekannte Zitat: „Am Anfang war das Wort“. Der Vortragende erweiterte seine Erklärungen um den Begriff Dreifaltigkeit, den er als Grundstruktur des Seins identifiziert. Hierzu erläuterte er, dieser Begriff bedeute nicht, dass man an drei Götter glaube, sondern dass sich der Urgrund des Seins, also Gott, auf drei verschiedene Arten und Weisen zeigt, nämlich als Vater, Sohn und Heiliger Geist und als Beziehung zwischen diesen Instanzen. Gott selbst benötigt keine Beziehungen mit externen Instanzen, sondern ist sich selbst genug. Er ist in sich ein Beziehungswesen. Auf dieser Freiheit begründet Dr. Beck die These, dass sich Gott dafür entschieden habe die Welt zu erschaffen, er hätte dies jedoch auch unterlassen können. Der Begriff „logos“ findet sich auch in der Biologie. In der Natur hat alles seine Ordnung, die Naturgesetze sind auf der ganzen Welt dieselben. 

Beck erwähnte auch, dass die Katholische Kirche in der Vergangenheit oft Probleme hatte, naturwissenschaftliche Beweise zu akzeptieren. Das führte zu Konflikten zwischen Kirche und Naturwissenschaften. Als zentrale Beispiele nennt er Galilei und Darwin, denen die katholische Kirche die Verbreitung ihrer Erkenntnisse untersagte. Beck argumentiert jedoch, dass die Erkenntnisse Darwins beispielsweise mit dem Schöpfungsgedanken konform gehen können. Erst 1965 gab die Kirche ihren Herrschaftsanspruch über die Naturwissenschaften auf. Beck erklärte, dass Jesus Mensch und Gott gleichzeitig ist, was ebenfalls auf den Menschen zutrifft. Dieser habe nämlich einen göttlichen und einen menschlichen Willen. Auch in unserem Körper muss ein Gleichgewicht zwischen Immunsystem, Abwehrsystem und Angreifern bestehen. Man kann beispielsweise durch einen Virus oder eine innere Zerrissenheit geschwächt sein und aus diesem Gleichgewicht kommen. Das innere seelische Gleichgewicht kann unterdrückt werden und das Denken und Fühlen des Menschen haben einen Einfluss auf die Epigenetik. Folglich hat das Verhältnis zu Gott Einfluss auf die Gesundheit, denn den göttlichen Willen immer zu suchen und zu finden, führt zu neuer innerer Zufriedenheit. Prof. Beck beendete seinen Vortrag mit der Erkenntnis, dass weder die Naturwissenschaften noch die Medizin im Widerspruch zur katholischen Theologie stehen, sondern sie ergänzen und bereichern. Er knüpft damit an das von ihm artikulierte Argument an, dass die modernen naturwissenschaftlichen Erkenntnisse Theologen dabei helfen könnten, etwas über ihr Gottesbild zu erfahren.